, Reinhardt Daniel

Offener Brief der Allianz für sachgerechte & praxistaugliche Pauschalen

Offener Brief der Allianz für sachgerechte & praxistaugliche Pauschalen

https://fmch.ch/de/offener-brief-der-allianz-fuer-sachgerechte-und-praxistaugliche-pauschalen/

Allianz für sachgerechte und praxistaugliche Pauschalen
Bern, 23.01.2025

Umsetzung der Übergangsbestimmungen zum Gesamtpaket der Tarifrevision – Dringender Hand-
lungsbedarf

Sehr geehrte Damen und Herren

Die «Allianz für sachgerechte und praxistaugliche Pauschalen» unterstützt das Ziel des Bundesrates einer
qualitativ hochwertigen ambulanten Versorgung und die Bemühungen um eine moderne Tarifstruktur.

Allerdings erfüllen die aktuellen ambulanten Pauschalen die Vorgaben des KVG nicht. Besonders besorg-
niserregend ist, dass – wie das GS EDI gegenüber der FMCH schriftlich einräumte – kein Prüfbericht für
Version 1.0 vorliegt. Ein solcher Bericht ist jedoch unerlässlich, um die Auswirkungen der neuen Tarife auf
Kosten, Versorgungsqualität und Patienten zu überprüfen. Ohne diesen Bericht fehlt eine wichtige Grund-
lage für eine fundierte Entscheidung. Dies steht im Widerspruch zur Behandlung von Version 0.3, die auf-
grund eines BAG-Prüfberichts vom 19.06.2023 als nicht einführungswürdig eingestuft wurde. Obwohl ge-
ringfügige Änderungen zwischen den Versionen vorgenommen wurden, wurden die im Prüfbericht aufge-
zeigten grundlegenden Probleme nicht behoben.

Der BAG-Bericht kritisierte unter anderem:

Mangelnde Repräsentativität der Daten.

Fehlenden Einbezug der Ärzteschaft.

Methodische Mängel bei der Kostenberechnung.

Der BAG-Prüfbericht zur Version 0.3 setzte für ein definitives Gesuch zudem folgende Punkte vo-
raus:

Einbezug der OP-Zentren und der niedergelassenen Ärzteschaft.

Klare Abgrenzung zwischen Einzelleistungstarif und ambulanten Pauschalen.

Sicherstellung der Repräsentativität der Spitaldaten.

Höhere Fallzahl für die Pauschalen.

Angemessene Berücksichtigung der speziellen Bedürfnisse der Pädiatrie und vollständige Berück-
sichtigung der Anästhesie.

Überprüfung der Zweckmässigkeit des Pauschalenkatalogs.
 
 
 
Da kein Prüfbericht für Version 1.0 vorliegt und sich die Versionen nur geringfügig unterscheiden, müssen
wir davon ausgehen, dass die kritisierten Mängel weiterhin bestehen. Diese mangelhafte Grundlage ge-
fährdet die qualitativ hochwertige ambulante Versorgung in der Schweiz und könnte dazu führen, dass Pa-
tienten mit komplexen Erkrankungen nicht mehr adäquat und zeitnah versorgt werden können, da die Pau-
schalen die tatsächlichen Kosten nicht decken. Die Genehmigung der Version 1.0 ist daher inakzepta-
bel.

Die von FMCH und Allianz identifizierten Hauptprobleme sind:

Mangelnde Datengrundlage und fehlende Homogenität: Die Pauschalen basieren auf unzu-
reichenden Daten und bilden die tatsächlichen medizinischen Leistungen ungenügend ab. Die zu-
sammengefassten Leistungen sind in Bezug auf Schwierigkeitsgrad, Zeit-, Material- und Personal-
aufwand nicht vergleichbar. Ein Beispiel: Die Entfernung eines kleinen Knöchelchens am Fuss (Se-
samoidektomie) und ein komplexer Knieprothesenwechsel fallen in dieselbe Vergütungskategorie.
Mit medizinischer Expertise könnte eine Subkategorisierung (Splitting) der Pauschalen erfolgen.

Inkonsistenzen und unklare Abrechnungsmodalitäten: Es bestehen Inkonsistenzen zwischen
den Bestandteilen der Tarife, was die praktische Anwendung erschwert. Beispielsweise ist unklar,
wie pathologische Leistungen in die Kostenberechnungen eingeflossen sind und wie notwendige
Mehrfach- und Nachfolgeanalysen von Tumorzellen abgerechnet werden sollen.

Übergehen der Fachgesellschaften: Die Expertise der Fachgesellschaften wurde bei der Ent-
wicklung der Pauschalen nicht ausreichend berücksichtigt. Dies wurde im Prüfbericht des BAG zu
der Version 0.3 ausdrücklich verlangt. Ohne die Expertise der Fachgesellschaften werden die Pau-
schalen die tatsächliche Komplexität der medizinischen Leistungen nicht widerspiegeln, was zu
Fehlsteuerungen und einer Verschlechterung der Patientenversorgung führen kann. Wir fordern
eine transparente Dokumentation, die belegt, wie die Expertise der betroffenen Fachgesellschaften
und Dachverbände bei der Entwicklung der Pauschalen eingeflossen ist.

Unklarheiten und fehlende Transparenz: Die undurchsichtige Zusammensetzung der Pauscha-
len führt zu Unsicherheiten, Fehlanreizen und erhöhtem Verwaltungsaufwand. Zudem ist die
Durchführung der Anästhesie durch qualifizierte Anästhesisten meist unklar.

Risiko der Zweiklassenmedizin und Qualitätseinbussen: Die Pauschalen bergen das Risiko
einer ungleichen Behandlung und könnten zu Qualitätseinbussen führen. Falsch kalkulierte Kosten
haben gravierende Folgen: Entweder zahlen Patientinnen und Patienten drauf, die medizinische
Versorgung leidet unter einer unzureichenden Finanzierung, oder es kommt zu einem unkontrol-
lierten Anstieg der Gesamtkosten.

Mit den Übergangsbestimmungen wurde die mangelnde Praxistauglichkeit der ambulanten Pauschalen
durch die Tarifpartner der OAAT AG bereits anerkannt.

Wir fordern den Bundesrat daher nachdrücklich auf:

Die von den Tarifpartnern anerkannten Mängel müssen unter Einbezug der medizinischen Exper-
tise der Fachgesellschaften bis zum 1. Januar 2026 korrigiert werden, damit schon von Beginn
weg sachgerechte und praxistaugliche Pauschalen vorliegen.

Vor der Einführung der Pauschalen einen unabhängigen Prüfbericht zu erstellen, der die Einfüh-
rungswürdigkeit bestätigt und transparent darlegt, wie die im Prüfbericht zur Version 0.3 genannten
Mängel behoben wurden und wie die medizinische Expertise der Fachgesellschaften berücksichtigt
wurde und einfliessen konnten. Zudem fordern wir eine spezifische Stellungnahme der Vertreter
der Kinder- und Jugendspitäler.

Nur so können die Mängel behoben und Pauschalen entwickelt werden, die dem Krankenversicherungsge-
setz (KVG) entsprechen, insbesondere den Wirksamkeits-, Zweckmässigkeits- und Wirtschaftlichkeitskrite-
rien (WZW-Kriterien). Die FMCH ist bereit zur konstruktiven Mitarbeit, die entsprechenden Arbeiten
aus den Fachgesellschaften liegen bereits vor. Sollte der Bundesrat diese Forderungen nicht erfüllen,
 
 
 
werden wir alle rechtlichen Möglichkeiten prüfen, um gegen die Einführung dieser mangelhaften Pauscha-
len vorzugehen.

Eine gestaffelte Einführung (TARDOC am 01.01.2026, Pauschalen nach Überarbeitung und positivem
Prüfbericht am 01.01.2027) wäre eine sinnvolle Alternative.

Wir sind überzeugt, dass eine enge und konstruktive Zusammenarbeit aller Beteiligten zu einer erfolgrei-
chen Lösung führen wird. Die gemeinsame Entwicklung von praxistauglichen und sachgerechten Pauscha-
len bietet zudem die Möglichkeit, alle betroffenen Akteure an einen Tisch zu bringen, was eine gemein-
same Weiterentwicklung eines nachhaltigen Tarifsystems künftig möglich macht.

Im Namen unserer Patientinnen und Patienten und mit Blick auf ein faires, nachhaltiges Gesundheitssys-
tem, das auch in Zukunft eine qualitativ hochwertige und bezahlbare Versorgung für alle gewährleistet:

Prof. Dr. med. Michele Genoni Dr. Lukas Künzler

Präsident FMCH Geschäftsführer FMCH

Folgende 29 Fachgesellschaften sind Mitglied der Allianz:

- BBV+ (Berner Belegärzte-Vereinigung+)

- BSOC (Berufsverband der Schweizer Ophthalmochirurgie)

- SBV (Schweizerische Belegärzte-Vereinigung)

- SGA (Schweizerische Gesellschaft für Angiologie)

- SGC (Schweizerische Gesellschaft für Chirurgie)

- SGDV (Schweizerische Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie)

- SGG (Schweizerische Gesellschaft für Gastroenterologie)

- SGG (Schweizerische Gesellschaft für Gefässchirurgie)

- SGGG (Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe)

- SGH (Schweizerische Gesellschaft für Handchirurgie)

- SGK (Schweizerische Gesellschaft für Kardiologie)

- SGKC (Schweizerische Gesellschaft für Kinderchirurgie)

- SGMKG (Schweizerische Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie)

- SGNC (Schweizerische Gesellschaft für Neurochirurgie)

- SGNM (Schweizerische Gesellschaft für Nuklearmedizin)

- SGNR (Schweizerische Gesellschaft für Neuroradiologie)

- SGORL (Schweizerische Gesellschaft für Oto-Rhino-Laryngologie)

- SGP (Schweizerische Gesellschaft für Pneumologie)

- SGPath (Schweizerische Gesellschaft für Pathologie)

- SGPRÄC (Schweizerische Gesellschaft für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie)

- SGR (Schweizerische Gesellschaft für Radiologie)

- SGS (Schweizerische Gesellschaft für Spinale Chirurgie)

- SGT (Schweizerische Gesellschaft für Thoraxchirurgie)

- SGU (Schweizerische Gesellschaft für Urologie)

- SGUM (Schweizerische Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin)

- SGZ (Schweizerische Gesellschaft für Zytologie)

- SOG (Schweizerische Ophthalmologische Gesellschaft)

- SSAPM (Schweizer Gesellschaft für Anästhesiologie und Perioperative Medizin)

- swiss orthopaedics (Schweizerische Gesellschaft für Orthopädie und Traumatologie)

Die FMCH (Foederatio Medicorum Chirurgicorum Helvetica) ist der Zusammenschluss chirurgischer und
invasiv tätiger Fachgesellschaften der Schweiz. Sie umfasst 15 Fachgesellschaften und drei Berufsver-
bände und repräsentiert über ihre Mitgliedgesellschaften 8000 chirurgisch, invasiv und akutmedizinisch
tätige Ärztinnen und Ärzte. Die FMCH ist eine standespolitische Organisation, die sich mit allen wichtigen
gesundheitspolitischen Themen befasst und sich entsprechend in der Politik und Öffentlichkeit einbringt.